"Warum hat man uns das Geschlecht heimatlos gemacht, statt das Fest unserer Zuständigkeit dorthin zu verlegen? Gut, ich will zugeben, es soll nicht uns gehören, die wir nicht imstande sind, so unerschöpfliche Seeligkeit zu verantworten und zu verwalten. Aber warum gehören wir nicht zu Gott von dieser Stelle aus?" In der Frage z.B. nach religiöser Einbindung des Geschlechtlichen, die ja paradoxerweise gerade auch nach der so genannten "sexuellen Revolution" eine reziproke Bedeutung gewonnen hat, werden Rilkes geistige Bezüge zu Gruppen der ketzerischen Tradition, zu gnostischen Mustern, ja überhaupt zur jahrtausendealten verdrängten, aber unterschwellig immer virulenten Tradition des "freien Geistes" deutlich. Was Rilke mit anderen "offenen Quellen" dieser Geistesströmung, wie Nietzsche, Heine, Kierkegaard- und Hölderlin gemeinsam hat, ist das Vertrauen in den Menschen, ohne das der Mut zur Redlichkeit, zu einem unverstellten Glauben niemals möglich wäre. Das existenziell-philosophische Lebensverständnis Rilkes in enger Verbindung mit Bildern seines Lebens anzudeuten, soll in diesem Hörbuch versucht sein.