Es war am Ende eines kleinen Dorfes im Marchfeld, das letzte, das ärmlichste Haus. Seine niedrigen Lehmmauern schienen jeden Augenblick aus Scham über ihre Blöße und all ihre zutage gekommenen Gebrechen in sich zusammensinken zu wollen. Das schiefe Strohdach bot nur noch einen sehr mangelhaften Schutz gegen Hitze und Kälte, Sturm und Schnee. Die Eingangstür, die des Schlosses entbehrte, war mit Stricken an den verrosteten Angeln befestigt, klaffte von allen Seiten und hatte längst aufgehört, eine feste Schranke zu bilden zwischen der Straße und dem einzigen Wohnraume der Hütte. Durch eine seiner Fensterluken drang ein schwach flackernder Lichtschein in das Dunkel der Oktobernacht. Er ging von einer Talgkerze aus, die am Fußende eines Sarges brannte. Der Sarg stand noch offen auf einem Schragen mitten in der Stube, und in ihm ruhte die Leiche einer kleinen, alten Frau. Sorgfältig angetan, mit dem Ausdruck seligen Friedens auf dem greisen Gesichte, nahm sie sich fast zierlich aus in ihrem letzten Bette. Ein weißes Tüchlein war um ihren Kopf gewunden und unter dem Kinn zusammengesteckt; die grauen Haare waren glatt gescheitelt, die Hände über der Brust gekreuzt und mit einem Rosenkranz umwickelt.nMarie von Ebner-Eschenbach: geboren am 13.9.1830 auf Schloss Zdislawic/Mähren, gestorben am 12.3.1916 in Wien, stammte väterlicherseits aus altösterreichischem, mütterlicherseits aus norddeutsch-protestantischem Geschlecht. Sie heiratete 1848 ihren Vetter Moritz, Professor an der Ingenieur-Akademie in Wien, später Feldmarschallleutnant und Mitglied der Akademie der Wissenschaften; die Ehe blieb kinderlos. Sie lebten 1848-1850 in Wien, bis 1856 in Klosterbruck bei Znaim, danach in Wien und Zdislawic. 1879 machte sie eine Uhrmacher-Ausbildung. 1898 wurde sie mit dem höchsten Zivilorden Österreichs, dem Ehrenkreuz für Kunst und Literatur, ausgezeichnet und war 1900 erster weiblicher Ehrendoktor der Wiener Universität.