Der Spaziergang

Library of Alexandria · AI-narrated by Gemma (from Google)
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2 hr 1 min
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Ich teile mit, daß ich eines schönen Vormittags, ich weiß nicht mehr genau, um wieviel Uhr, da mich die Lust, einen Spaziergang zu machen, ankam, den Hut auf den Kopf setzte, das Schreib- oder Geisterzimmer verließ, die Treppe hinunterlief, um auf die Straße zu eilen. Beifügen könnte ich, daß mir im Treppenhaus eine Frau begegnete, die wie eine Spanierin, Peruanerin oder Kreolin aussah. Sie trug etwelche bleiche, welke Majestät zur Schau. Ich muß mir jedoch auf das strengste verbieten, mich auch nur zwei Sekunden lang bei dieser Brasilianerin oder was sie sonst sein mochte, aufzuhalten; denn ich darf weder Raum noch Zeit verschwenden. So viel ich mich heute, wo ich dieses alles schreibe, noch zu erinnern vermag, befand ich mich, als ich auf die offene helle und heitere Straße trat, in einer romantisch-abenteuerlichen Gemütsverfassung, die mich tief beglückte. Die morgendliche Welt, die sich vor meinen Augen ausbreitete, erschien mir so schön, als sähe ich sie zum erstenmal. Alles, was ich erblickte, machte mir den angenehmen Eindruck der Freundlichkeit, Güte und Jugend. Rasch vergaß ich, daß ich oben in meiner Stube soeben noch düster über ein leeres Blatt Papier hingebrütet hatte. Alle Trauer, aller Schmerz und alle schweren Gedanken waren wie verschwunden, obschon ich einen gewissen Ernst, als Klang, noch immer vor mir und hinter mir lebhaft spürte. Freudig war ich auf alles gespannt, was mir auf dem Spaziergang etwa begegnen oder entgegentreten könnte. Meine Schritte waren gemessen und ruhig, und soviel ich weiß, ließ ich, indem ich so meines Weges ging, ziemlich viel würdevolles Wesen sehen. Meine Empfindungen liebe ich vor den Augen meiner Mitmenschen zu verbergen, ohne daß ich mich jedoch deswegen ängstlich bemühe, was ich für einen großen Fehler und für eine starke Dummheit halten würde. Ich war noch nicht zwanzig oder dreißig Schritte weit über einen weiten menschenbelebten Platz gegangen, als mir Herr Professor Meili, eine Kapazität allerersten Ranges, leicht begegnete. Wie die unumstürzliche Autorität schritt Herr Professor Meili ernst, feierlich und hoheitvoll daher; in der Hand trug er einen unbeugsamen wissenschaftlichen Spazierstock, der mir Grauen, Ehrfurcht und Respekt einflößte. Professor Meilis Nase war eine strenge, gebieterische, scharfe Adler- oder Habichtsnase, und der Mund war juristisch zugeklemmt und zugekniffen. Des berühmten Gelehrten Gangart glich einem ehernen Gesetz; Weltgeschichte und Abglanz von längst vorübergegangenen heroischen Taten blitzten aus Herrn Professor Meilis harten, hinter buschigen Augenbrauen verborgenen Augen hervor. Sein Hut glich einem unabsetzbaren Herrscher. Geheime Herrscher sind die stolzesten und härtesten. Im ganzen genommen betrug sich jedoch Professor Meili ganz milde, so als wenn er in keiner Hinsicht nötig gehabt hätte, merken zu lassen, welche Summen von Macht und Gewicht er personifizierte, und seine Gestalt erschien mir trotz aller Unerbittlichkeit und Härte sympathisch, weil ich mir sagen durfte, daß die, die nicht auf süße und schöne Art lächeln, ehrlich und zuverlässig sind. Gibt es ja bekanntlich Schurken, die die Lieben und Guten spielen, die das schreckliche Talent haben, zu den Untaten, die sie begehen, verbindlich und artig zu lächeln.

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