Kerntexte dieser Studie sind Theodor Fontanes Werke Grete Minde(1879) und Meine Kinderjahre(1892). Insbesonders geht es um die literarisch verarbeiteten Übergangsphasen vom vormodernen zum bürgerlichen Sozialisationsraster, denn die Texte bezeichnen die Anfangs- und Endpunkte einer historischen Kurve, innerhalb der sich eine neue Mentalität herausbildete.Die Monographie konzentriert sich insbesonders auf Grete Minde, deren Problematik der kindlichen Subjektivität der Autor in den Kinderjahrennochmals aufnahm und löste. Was Fontane schon in Grete Mindezu artikulieren suchte, gelang ihm in den Kinderjahren: die Imaginierung eines überlebensfähigen Ichs angesichts obsoleter Erziehungspraktiken. Der Spannung zwischen Realität und Selbst begegnet Fontane auf zweifache Weise. In Grete Mindeschafft sein Erzähler dem ungeliebten Kind einen Überlebensraum inmitten der abgelebten Gesellschaft: Die Leerstelle der zerstörten Stadt Tangermünde wird durch das erzählerisch konstruierte Verständnis für Gretes Verzweiflungstat aufgefüllt. In den Kinderjahrenjedoch fällt das Erzählobjekt mit dem erzählenden Subjekt zusammen; hier re-imaginiert der Erzähler seine eigene Entstehungsgeschichte als heiles Selbst.