Der fromme Tanz - Roman einer Jugend

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Ich sehe ein Hotelzimmer in irgendeiner fremden südländischen kleinen Stadt und in diesem Hotelzimmer sitzt ein junger Mensch und schreibt einen Brief - ich weiß aber noch nicht an wen. Er hat seinen Schreibtisch nahe ans Fenster gerückt, es ist gegen Abend. Das letzte Licht des Tages benutzt der Schreibende, das letzte gläserne Licht. Vor dem Fenster liegt noch ein kleiner Balkon und dann kommen Bäume. Aber hinter und zwischen den Wipfeln, die schon ganz schwarz gegen das durchsichtige Silber des Himmels stehen, schimmert das Meer und ist weiß. Man kann es beinahe nicht sehn, aber man fühlt seine Nähe, sein Atmen, sein rührend gewaltiges Eingeschlafensein. Vor dem strengen Silber des beinahe abendlichen Himmels zeichnet fast schwarz sich das Gesicht des schreibenden jungen Menschen ab, wie eine geschnittene Silhouette. Die Nase springt etwas stark vor, das Haar fällt ihm dunkel und weich in die Stirn. Sein Blick ist über den Briefbogen, der weiß vor ihm ausgebreitet liegt, hinaus und in einer wie abwesenden tiefverschleierten Sanftheit, auf ein paar Photographien gerichtet, die im schlichten Rahmen sonderbar gleichmäßig aufgestellt sind im Hintergrunde des Schreibtischs. Es läßt sich nicht genau unterscheiden, was diese Photographien darstellen, dazu ist es zu dunkel. Aber der junge Mensch wendet sich um auf seinem Hotelstuhl und sieht hinter sich ins Zimmer hinein. Gleich neben dem Bett, auf dem Nachttisch, steht nämlich noch eine vierte Photographie, aber auch diese läßt sich in der Dämmerung fast nicht erkennen. Ist es ein Kind oder ist es ein Knabe oder ist es einjunger Mann? Rührend ernst und gesammelt schaut sie in den verschwimmenden Raum, wie Kinder schauen, denen man Großes erzählt. Aber um die Photographie, soviel kann man noch sehen, ist eine schwarze Rosenkranzkette gelegt. Sonst ist es jetzt schon so dunkel im Zimmer, daß sich nicht einmal mehr sagen läßt, ob der am Schreibtisch, zu dem Bild mit dem Rosenkranz selbst hinübersieht, oder nur zum großen Bett, das weißlich, schweigsam und hoch getürmt, stattlich und voll Geheimnis auf etwas zu warten scheint. - Man kann seinem Blick nicht mehr folgen, er verliert sich im Zimmer. Aber bald wendet er sich dem Briefbogen wieder zu und beginnt wieder zu schreiben. Vor längerer Zeit hat er augenscheinlich diesen Brief schon begonnen, mit anderer Tinte, vielleicht auch in einer anderen Stadt. Aber jetzt fährt er fort. Eifrig, eilig und doch ein wenig schwerfällig geht seine Hand übers Papier ...

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Klaus Mann lebte von 1906 bis 1949 und war ein deutscher Schriftsteller.

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