Neue Deutsche Rechtschreibung
Gottfried Keller (19.07.1819โ15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer hรถheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise รผber den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlรคsst ein groรes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.
Die Leute von Seldwyla haben bewiesen, dass eine ganze Stadt von Ungerechten oder Leichtsinnigen zur Not fortbestehen kann im Wechsel der Zeiten und des Verkehrs; die drei Kammmacher aber, dass nicht drei Gerechte lang unter einem Dache leben kรถnnen, ohne sich in die Haare zu geraten. Es ist hier aber nicht die himmlische Gerechtigkeit gemeint oder die natรผrliche Gerechtigkeit des menschlichen Gewissens, sondern jene blutlose Gerechtigkeit, welche aus dem Vaterunser die Bitte gestrichen hat: Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern! weil sie keine Schulden macht und auch keine ausstehen hat; welche niemandem zuleid lebt, aber auch niemandem zu Gefallen, wohl arbeiten und erwerben, aber nichts ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen Nutzen, aber keine Freude findet. Solche Gerechte werfen keine Laternen ein, aber sie zรผnden auch keine an, und kein Licht geht von ihnen aus; sie treiben allerlei Hantierung, und eine ist ihnen so gut wie die andere, wenn sie nur mit keiner Fรคhrlichkeit verbunden ist; am liebsten siedeln sie sich dort an, wo recht viele Ungerechte in ihrem Sinne *sind*; denn sie untereinander, wenn keine solche zwischen ihnen wรคren, wรผrden sich bald abreiben wie Mรผhlsteine, zwischen denen kein Korn liegt. Wenn diese ein Unglรผck betrifft, so sind sie hรถchst verwundert und jammern, als ob sie am Spieรe stรคken, da sie doch niemandem was zuleid getan haben; denn sie betrachten die Welt als eine groรe wohlgesicherte Polizeianstalt, wo keiner eine Kontraventionsbuรe zu fรผrchten braucht, wenn er vor seiner Tรผre fleiรig kehrt, keine Blumentรถpfe unverwahrt vor das Fenster stellt und kein Wasser aus demselben gieรt.
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