Hara Kiri
Hamburg 1886 Lily Karsten, Reederstochter, führt ein glückliches und behütetes Leben, bis sie auf den Hafenarbeiter Jo Bolten trifft. Jo zeigt ihr die Stadt wie sie wirklich ist: laut, schmutzig und vor allem: arm. Lily beginnt ihr Dasein zu hinterfragen und lehnt sich auf. Sie auf ihrem Weg zu begleiten hat mir viel Spaß gemacht. Ich fand zwar ein wenig schwer in das Buch hinein, weil zu Beginn erst einmal die ganzen Charaktere eingeführt werden mussten, aber schnell hatte ich mich eingelesen. Die Konventionen der damaligen Zeit haben mich fasziniert und spätestens als Emma auftaucht, und damit noch mehr Unruhe in Lilys Leben, klebte ich förmlich an den Seiten. Lilys Wandel von der höheren Tochter zur Rebellin fand ich sehr gelungen. Elbleuchten ist sehr gut recherchiert, die Charaktere authentisch dargestellt und glaubwürdig. Das Handeln von Lilys Eltern war mir als Kind des 20. Jahrhunderts fremd. Auch die Unterdrückung der Frauen und ihr Kampf um ein wenig Freiheit fand ich sehr gut herausgearbeitet und wichtig zu lesen. Sehr interessant war auch die Schilderung des alten Hamburg mit dem Gängeviertel und den Menschen, die hier lebten. Elbleuchten endet mit einem ganz fiesen Cliffhanger. Wie gut, dass der Nachfolgeband „Elbstürme schon im April 2021 erscheinen wird. Fazit: nach einem etwas schwierigen Einstieg hat mir das Buch super gefallen und ich fiebere schon dem zweiten Band entgegen.
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Yvonne von lesehungrig
Ich lese normalerweise nichts Historisches und ungern Bücher mit mehr als 500 Seiten. Doch bei dieser Autorin habe ich eine Ausnahme gemacht, weil mir ihr Schreibstil prima gefällt. Um was es geht: 1886 – die Welten von Lily und Jo treffen aufeinander und lösen in Lily erdrutschartige Entwicklungen aus, denen ich gespannt folge. Was mich entflammt: Der Schreibstil ist bildhaft und leidenschaftlich und Georg lässt mich den auktorialen Erzähler vergessen, der immer wieder in den Seiten auftaucht und den ich sonst vehement ablehne. Das Sprachbild spiegelt an einigen Stellen die Zeit des 19. Jahrhunderts wieder, was den Lesegenuss noch authentischer macht. Georg zieht mich blitzschnell in die Story hinein und ich finde mich im 19. Jahrhundert wieder, das mich an vielen Stellen erschüttert. Was für eine raue und gnadenlos kalte Zeit. Eine Frau im 19. Jahrhundert hatte keine Stimme und diente dem Mann lediglich als Mutter seiner Kinder und als hübsches Beiwerk an seiner Seite. Damit hatte sie ihren Zweck schon erfüllt. Und der unüberwindbare Graben zwischen Arm und Reich wurde mit Eiseskälte und Gleichgültigkeit gefüllt. Selbst heute bringt es Verwicklungen mit sich, wenn sich Arm und Reich verbinden, aber früher hatte das grausame Folgen: Diese reichten von Ächtung und Ausgrenzung bis hin zu Gefängnisstrafen, an deren Ende oft der Tod stand. Was für eine gelungene Umsetzung: Georg schreibt verflixt glaubwürdig, was Beleg für eine herausragende Recherchearbeit ist. Mit viel Feingefühl vermittelt sie mir ein Bild von den Figuren und es berührt mich tief, zu erleben, wie sich Lilys Schleier, der von Geburt an von der Gesellschaft über sie gelegt wurde, lichtet, Stück für Stück. Mit dem heutigen Wissen möchte ich nicht für eine Milliarde Euro eine Reise in diese Zeit unternehmen. Die Dogmen und die Macht, die die Männer lebten und zu ihren Gunsten ausnutzten, ist kaum zu ertragen. Elbleuchten fasziniert mich von der ersten Seite an und ich sause in einem Tempo durch das Buch, das mich fast schwindelig werden lässt. Die Spannungsbögen sind perfekt ausgearbeitet und raffiniert in die Story eingewoben. Hier lautet die Devise: Rechne immer mit dem Unvorhersehbaren. Die Geschichte bietet mir ganz großes Kino und ich würde die Reihe unglaublich gerne verfilmt sehen. Solche Gedanken habe ich nicht oft beim Lesen und sie bestätigen mir die herausragende Qualität des Stoffs. Die Säulen der Geschichte sind die ergreifenden Figuren: Lily Karsten ist die Tochter einer der erfolgreichsten Reederfamilien Hamburgs. Sie glaubt anfänglich, der Sinn ihres Lebens bestünde darin, zu heiraten, Kinder zu bekommen und eine gefällige Ehefrau zu sein. Doch tief in ihrem Inneren möchte sie Schriftstellerin werden. Lily ist burschikos, entschlossen, mutig, stur, intelligent und dabei neugierig auf die Welt. Die oberste Regel ihres konservativen Elternhauses lautet: „Schade nie dem Ruf der Familie.“ Diesem Grundsatz wird alles untergeordnet. Die Familie hütet ein dunkles Geheimnis, das mich unendlich traurig macht. Lily hat zwei Brüder, von denen ich einen sofort ins Herz schließe und den anderen am liebsten in die damalige nicht vorhandene Kanalisation spülen möchte. Jo Bolton arbeitet im Hafen für Ludwig Oolkert. Dieser ist der mächtigste Kaufmann der Stadt und Rivale der Karstens. Jo kommt aus dem Gängeviertel und gehört der untersten Bevölkerungsschicht an. Dabei darf er sich glücklich schätzen, weil er einen Job hat und so seine Mutter finanziell unterstützen kann. Sein Charakter fasziniert mich vom ersten Augenblick an. Jo ist ein Mann, dem das Leben nichts geschenkt hat, und trotzdem hadert er nicht mit seinem Schicksal, obwohl er jeden Grund dazu hätte.
Mary Sophie
Zu einem flüssigen und anregenden Lesen hat auch die Schreibweise beigetragen. Sie war von der ersten bis zur letzten Seite sehr angenehm und gut lesbar und hat dadurch dazu verführt, immer weiterzulesen zu wollen. Besonders gefallen haben mir die bildhaften Umschreibungen der Handlungsorte, die ich allesamt sehr lebendig vor Augen hatte und einfach nur beeindruckend fand. Und hier hat mich auch die Vielfalt überzeugen können, zahlreiche Szenen spielen in den ärmeren Vierteln der Stadt, dazu gibt es den Gegensatz zu den Villen der Bellevue. Diese Unterschiede werden dem Leser deutlich vor Augen geführt und ergeben eine schonungslose und ehrliche Sicht auf die gesellschaftlichen Kluften in Hamburg. Und obwohl die Geschichte schon spannend angefangen hat, konnte sie mich erst ab ungefähr der Hälfte der Handlung richtig fesseln. Bis dahin wurde ich gut unterhalten, habe die Story mit viel Interesse verfolgt und mir Gedanken über einen möglichen Fortgang gemacht, war aber noch nicht komplett beeindruckt. Das kam erst später und ab da war ich wirklich Feuer und Flamme. Als dieser Punkt erreicht war, wollte ich das Buch absolut nicht mehr aus der Hand legen und habe die zweite Hälfte innerhalb von knapp zwei Tagen verschlungen. Und dann kam ein wenig die Enttäuschung, dass ich nun bis April warten muss, um zu erfahren, wie es mit den Personen weitergehen wird... Immer wieder sind Ereignisse eingetreten, die mich überrascht haben und mit denen ich absolut nicht gerechnet hätte. Ich wurde oft überrascht und die Karten über einen möglichen Fortgang der Geschichte wurden immer wieder neu gemischt. Daher blieb die Handlung für mich immer undurchschaubar und interessant. Ich war ganz überrascht davon, wie viele Erzählperspektiven eingesetzt und genutzt wurden. Ursprünglich hatte ich die Erwartungshaltung, dass ganz viele Kapitel aus Lilys Sicht, sowie der ihrer Familie und vielleicht von ein-zwei außenstehenden Personen beschrieben werden. Doch hier erweist sich die Vielfalt viel größer als ursprünglich angenommen und sowohl die Familie Karsten, als auch unter anderem Jo Bolten, sein Chef oder sein bester Freund kommen zu Wort. Auf diese Weise kann man die Figuren nicht nur auf unterschiedliche Weisen sehen, sondern auch die Ereignisse besser einschätzen und mehr Zusammenhänge finden. Außerdem erweist sich die Geschichte als vielfältiger und abwechslungsreich, zudem lernt man verschiedene Lebensweisen kennen und kann sich von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten ein Bild machen. Anhand vieler kleiner oder großer Details gibt es Informationen über die Handlungszeit. Diese äußern sich in verschiedenen Themen, sowohl in der Politik und dem Handel, als auch im persönlichen Leben, in Krankheiten, der Mode oder den gesellschaftlichen Konventionen. Wegen dieser Details ist es möglich, einen Überblick über die Handlungszeit zu erhalten und die Geschichte bekommt einen hohen Realitätsbezug, was von der gründlichen und tiefen Recherche der Autorin zeugt. Fazit Nach der glänzenden Leseprobe und einem sehr guten ersten Eindruck von der Handlung bin ich mit vollem Enthusiasmus in die Geschichte gestartet und hatte einige Erwartungen an sie. Während des Lesens habe ich dann bereits ein paar kurze Urteile dazu gelesen und diese sind fast durchweg positiv ausgefallen, was meine Erwartungen nochmals etwas erhöht hat. Und lange Zeit konnte ich mich den guten Meinungen anschließen, war aber noch nicht vollends überzeugt. Mir hat noch ein bisschen mehr Spannung gefehlt, die glücklicherweise später dazukam und irgendwann hat mich die Geschichte komplett gefesselt. Gerade das letzte Drittel habe ich verschlungen und war sehr enttäuscht, als das Lesevergnügen dann vorbei war und ich nun ein bisschen warten muss, bis die Fortsetzung erscheint. Ein absolut tolles und mitreißendes Buch, welches mir viele schöne Stunden bereitet hat!