Zu Ewers’
Lebzeiten kam es bei Vorträgen der Novelle immer wieder zu Ohnmachtsanfällen im
Publikum. Und auch ein Leser des 21. Jahrhunderts braucht nach wie vor einen
starken Magen, um diese »Tomatensauce« zu verdauen.
+++
Leseprobe:
Plötzlich hörte ich hinter mir ein hässliches Kreischen und
Knirschen, das die Ohren zerriss. Ich wandte mich um: An einem runden
Schleifstein schliff jemand sorgfältig eine kleine Navaja. Er prüfte das Messer
am Nagel des Daumens, legte es weg und nahm dann ein anderes.
Ich wandte mich an den Popen: »Diese Salsa ist also eine Art
– Duell?«
»Duell?«, antwortete er. »O nein, es ist eine Art –
Hahnenkampf!«
»Was?«, rief ich. »Und aus welchem Grunde unternehmen die
Männer da diese Art – Hahnenkampf? Haben sie sich beleidigt – ist es
Eifersucht?«
»Keineswegs«, sagte ruhig der Engländer, »sie haben gar
keinen Grund. Vielleicht sind sie die besten Freunde – vielleicht kennen sie
einander gar nicht. Sie wollen nur – ihren Mut beweisen. Sie wollen zeigen,
dass sie hinter den Stieren und den Hähnen nicht zurückstehen.«
Die hässlichen Lippen versuchten ein kleines Lächeln, als er
fortfuhr: »So etwa – wie bei Ihren deutschen Studentenmensuren.«
+++
Hanns Heinz Ewers wurde 1871 als Hans Heinrich Ewers in Düsseldorf
geboren. 1888 erste Gedichte. Jurastudium. Geht 1901 nach Berlin.
Freundschaft mit Gerhart Hauptmann, Erich Mühsam, Max Reinhardt, Frank
Wedekind, Herwarth Walden, Else Lasker-Schüler, Maximilian Harden, Paul
Scheerbart, Roda Roda, Gustav Klimt u.a. 1901-1912 Ehe mit der Malerin
Ilna Wunderwald. 1901 Mitbegründer, später Leiter des 1. deutschen
Kabaretts »Ueberbrettl«. Mehrere Weltreisen. 1911-1922 Freundschaft mit
Walter Rathenau. 1913-1914 Drehbuchautor, Regisseur und später Leiter
der »Deutschen Bioscop«-Filmgesellschaft (Vorläuferin der »Ufa«). Lebt
1914-1920 in den USA; dort deutschfreundliche Propagandatätigkeit und
Wandlung vom Kosmopoliten zum Nationalisten. 1918-1919 als
Kriegsgefangener in den USA. Heiratet 1921 die amerikanische Sängerin
Josephine Bumiller. 1931-1933 Bekanntschaft mit dem »Hellseher«
Hanussen. 1931 Aufnahme in die NSDAP durch Hitler. Bis 1934
Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten (u.a. mit Joseph Goebbels,
Ernst Röhm) danach Schreib- und Publikationsverbot. Hilft verfolgten
jüdischen Freunden. 1939-1943 Beziehung mit der (halbjüdischen)
Architektin Rita Grabowski. 1943 Tod in Berlin.