Die Geschwister ist eine Erzählung von Rainer Maria Rilke. Auszug: Mittags waren in dem alten Haus gegenüber der Malteserkirche - drei Treppen hoch - die neuen Mieter eingezogen, und bis zum Abend wußte man nur, daß sie ungewöhnlich große Möbel mitgebracht hatten, die in den engen Windungen der Wendeltreppe fast stecken geblieben wären. Und die alte, triefäugige Hökin, die nahe, unter den dunklen Steinlauben, saß, konnte sich kaum beruhigen in Erinnerung der riesigen Eichenschränke und beschwor die Nachbarn, ihr zu glauben, daß es »hochherrschaftliche« Schränke gewesen seien. Diese Versicherung bewirkte, daß eine ungewöhnliche Unruhe die vielen kleinen Parteien des bewußten Hauses in Atem hielt: jeden Augenblick kam aus irgend einer der weißlackierten Türen, auf deren jeder um ein Blech- oder Glasschild herum sich ein paar schmutzige Visitenkarten drängten, ein unordentliches Frauenzimmer heraus, lauschte die Treppe aufwärts, und fuhr beschämt zusammen, wenn es da schon auf andere Horcher stieß, welche ebenfalls in Schrecken sich zurückziehen wollten, bis die gleichgesinnten Seelen einander erkannten und ihre hungernde Neugier durch dunkle Vermutungen nur noch mehr anreizten.