Die Psychologie ist eine wundersame Wissenschaft. Denn fast alles, was sie untersucht, gibt es nur in unseren Köpfen. Niemand hat je einen Gedanken, ein Gefühl oder eine Absicht gesehen. Wer das Kinn sinnend auf eine Hand stützt, wer mit hochrotem Gesicht am Rednerpult steht oder ein Stück Sahnetorte beäugt, dem schreiben wir unwillkürlich bestimmte mentale Zustände zu. Aber existieren sie wirklich? Dass Psychologen jenseits des beobachtbaren Verhaltens rein geistige Phänomene erkunden, hat eine wichtige Konsequenz: Viele ihrer Forschungsobjekte gibt es wohl allein deshalb, weil wir an sie glauben. Sei es die Idee einer unsterblichen Seele (S. 6) oder eines unser Handeln leitenden Bewusstseins (ab S. 16) oder auch die Überzeugung, das eigene Schicksal kontrollieren zu können, als wichtiger Resilienzfaktor (S. 82) – solche Konzepte werden dadurch real, dass wir sie für real halten. Die Fakten schaffende Macht unseres Denkens ist das übergeordnete Thema dieses Hefts, das die besten Artikel aus "Gehirn&Geist" zu den großen Fragen der Neuro- und Verhaltensforschung versammelt. Wer derlei Wunder und Rätsel wissenschaftlich ausloten will, muss auch hinterfragen, ob die eigenen Methoden dafür tauglich sind. In dem Ressort "Forschen und Wissen" ab S. 42 stehen deshalb die Logik und die Probleme psychologischer Studien im Fokus. Der Versuch, durch strengere Standards und neue statistische Verfahren die empirische Seelenkunde verlässlicher zu machen, ist aktuell in vollem Gang. "Gehirn&Geist" wird auch zukünftig immer wieder die Hürden und Fortschritte auf diesem Weg beleuchten. Denn was nutzen die schönsten Theorien, wenn sie am Ende womöglich nur auf Einbildung beruhen?